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Die Brück' am Tay


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Ich bin die größte aller Brücken.
Auf meinen Schultern rollt der Zug
hoch übern Fluss. Doch hat mein Rücken
durch Pfusch beim Bau kaum Kraft genug.

Die Winde spüren, dass ich wanke.
Wie böse Hexen lachen sie,
und boxen sie mich in die Flanke,
vibriert das Eisen bis ins Knie.

Seit Weihnacht sind sie ganz verschworen
und wachsen heute zum Orkan.
In früher Nacht steh ich verloren
und harr des letzten Zuges Nahn.

Vom Brückenhaus erreicht mich Schimmern.
Der Lichterbaum will wohl im Spuk
dem Brückner etwas Hoffnung zimmern -
Lenkt doch sein eigner Sohn den Zug.

Da naht er sich, die Gleise beben
und singen nun im Sturm ihr Lied.
Mir schwindelt, doch ich halt die Streben,
so fest es geht, mit jedem Niet.

Schon ist die Lok in meiner Mitte.
Die Wagenfenster leuchten froh.
Ich hauche eine letzte Bitte.
Da brüllt der Sturm und packt mich roh.

Er schüttelt mich, er reißt die Wagen
auf meinen Schienen hin und her.
Ich schrei: „Ich kann euch nicht mehr tragen!“
Und plötzlich sind die Schultern leer.

Ein Feuerstrahl fährt in die Tiefe,
das Wasser drunten faucht und steigt.
Mir ist noch lang, als ob wer riefe,
doch hat sich niemand mehr gezeigt…


(Nach Fontanes Ballade)

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