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Gnade und Willkür


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Über den König des Ortes regiert eine weitaus mächtigere Instanz, doch um dies zu erkennen bedarf es den Willen dazu. Fernab jeglicher Realität, gefangen in einer schalldichten und verspiegelten Blase, zu der nur wenige Zutritt haben, sitzt, erhaben über jeden Zweifel, der gelenkte Despot. Sollte sich, so wie es ab und an mal vorkommt, das Elend der hungernden Untertanen zutritt verschaffen können, dann verschließt der König reflexartig die Augen und fährt damit fort, nur das zu sehen und zu erkennen, was ihm die höhere Instanz gewährt.

Vor seinen Füßen liegt, verfilzt, zerzaust und zitternd, ein Kind, über dessen Zukunft bereits vor der Geburt zum Teil entschieden war und welches seinen Herrscher fragt, ob es wegen seiner ärmlichen Herkunft und der eisigen Kälte da draußen Unterstützung von ihm erhalten könne. Erbost über diesen, in seinen blinden Augen, dreisten Versuch der Bereicherung auf Kosten des Volkes, sorgt er mit wenigen Worten dafür, dass das Kind auf den Namen Schmarotzer getauft und aus dem Ort verbannt wird, ohne dass es diesen jemals verlassen muss. Dies geschieht in einer Geschwindigkeit und Hektik, frei von lästigen Erklärungen des armen, frierenden Jungen. Doch soll es der Mensch auch spüren, wenn man ihn zu etwas Unbedeutendem herabstuft. Sein Körper muss durch die Kälte der Mitbürger schlottern, bis der Mensch endlich versteht, welchem wahren König er zu huldigen hat. Also entreißt der Despot auch das letzte wärmende Hemd, um ein rasches Umdenken zu erzwingen, obwohl ihm bewusst ist, dass das Kind daran erfrieren kann.

Zeitgleich steht ein überzeugter Freund des wahren Herrschers, ein eloquenter, stattlicher Mann, neben der austauschbaren Schachfigur, die sich für unentbehrlich hält und erbittet, da er selber nicht genug zu haben scheint, das letzte Hemd des Jungen. Da durch dessen Erscheinen und Auftreten dem König endlich zu erkennen gegeben wird, wer wirklich die Macht im Staate hat, offenbart er seine Großzügigkeit und legt den schmutzigen Fetzen über den noch lange nicht genügenden Pelzmantel.

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