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Wir kannten kein Erbarmen


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Wir trafen uns, wie fast jeden Nachmittag auf der wilden Wiese, und übten uns im Abhärten und Ausführen von Nasendrehen, Backenkneifern sowie Ohrenziehern. Alles andere war nicht erlaubt, aber schon schmerzhaft genug. Wollten wir siegen, mussten wir trainiert und schmerzunempfindlich werden, um dem Gegner standzuhalten. Immerhin konnte die Hälfte unsere Truppe noch kaum über die Tischplatte gucken, wenn wir auch zahlenmäßig überlegen waren.

Bloß nicht in einen Nahkampf verwickeln lassen, predigte ich gebetsmühlenartig meinen Mitstreitern, und um das zu untermauern, bestand dreiviertel der Kampfübungen, aus dem gezielten werfen von tischtennisballgroßen Beeren und dem Blasrohrschießen mit Erbsen.

Dieses Jahr mussten wir es der Lessingstraße endlich mal wieder zeigen, wer das sagen im Viertel hat. Die letzten beiden Jahre, konnten wir unsere zahlenmäßige Überlegenheit nicht ausspielen, da der körperliche Unterschied einfach zu große war. Aber einige der Jungs hatten inzwischen kräftig zugelegt, während das Wachstum bei den Gegnern gerade stagnierte. Dementsprechend wurde in den anderen Straßenzügen schon fleißig gewettet, wer diesmal als unangefochtener Sieger den Schauplatz verlassen würde.

Wir hatten nicht mehr viel Zeit, und so mussten wir unsere Übungen intensivieren. Direkt nach den Hausaufgaben ging es los. Alle wurden aufgefordert zur Wiese zu laufen, um sich aufzuwärmen, dabei sollte schon versucht werden, die Straßenlaternen auf dem Weg dorthin, mit dem Blasrohr zu treffen. An der Wiese angekommen watschten wir uns erst einmal locker ab, bevor gedreht, gezogen und gekniffen wurde.

Nachdem sich dann alle ausgeweint hatten, schlenderten wir eine Runde über die Wiese, sammelten die Munition vom Vortag wieder auf, und naschten hier und da von dem, was die Natur uns anbot. Erst danach suchte jeder sein Versteck auf, und wir begannen uns gegenseitig zu beschießen und abzuwerfen, bis alle Geschosse verbraucht waren. Auf Kommando stürmten wir aufeinander los und rangen, kniffen, drehten und zogen am Gegner, bis die Tränen uns erneut über die Wangen liefen, und wir uns vollkommen erschöpft auf der wilden Wiese niederließen.
 

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Hallo, moin Freiform

Du warst nicht zufällig mit meinem Bruder bekannt. Der spielte mit seiner Bande immer im Wald. Beim Backen(Wangen!) kneifen durfte ich immer mitmachen. Musste aber auch selbst ganz schön was aushalten können. Auf dem Nachhauseweg stibitzten wir uns immer Rüben vom Feld. Mein Bruder hatte ein Taschenmesser, dafür habe ich ihn sehr bewundert. Jetzt gerate ich ins Schwärmen, da hast Du was angestellt mit Deiner schönen Geschichte. Nur bis zum 9. Lebensjahr, danach wollten die ollen Jungs mich nicht mehr dabei haben. Sehr gerne gelesen! Deine Geschichte hat mich wieder daran erinnert wie schön und frei die Jugendzeit war.

LG Josina

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Lieber Freiform,

 

amüsant zu lesen (erinnert mich an "Krieg der Knöpfe"). So leidet man schon jung für die Ehre der eigenen Straße.

 

Aber diese schmerzvolle Kneiferei ist noch recht human, bedenkt man, dass es Städte gibt, in denen sich Judendbanden, allein wegen ein Paar  Markenturnschuhen, Gefechte mit Maschinenpistolen liefern.

 

Teilnahmsvolle Grüße von gummibaum

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Hallo Miteinander,

diese wilde Wiese, hat es in meinem Leben wirklich gegeben, auch wenn die Geschichte nicht ganz den Tatsachen entspricht. Ich war zum Beispiel nicht der Anführer, sondern nur Kanonenfutter, da ich erst sehr spät, in die Höhe schoss. Die Wiese war ca. 6 Fußballfelder groß, und gehörte einem alten Bauer, der sie aber nicht bewirtschaftete, sondern wirklich verwildern ließ, den Bauern habe ich in den 5 Jahren tatsächlich nicht einmal zu Gesicht bekommen. Sie war über und über, mit Obstbäumen und Sträuchern besetz und ich habe nur die schönsten Erinnerungen an sie, besonders an die häufigen Bauchschmerzen, vom unreifen Obst naschen…:whistling:

Diese Wiese war ein Schatz, wie ich sie nie mehr in meinem Leben wiedergefunden habe. Ich erinnere mich an Walnussbäume, Kirschen, Äpfel, Birnen, Pfirsiche, Haselnüsse, Brombeeren, Himbeeren, Blaubeeren, Stachelbeeren, Pflaumen und sicher noch vieles mehr, was sich im Laufe der Jahre, einfach langsam aus der Erinnerung gestohlen hat. Sie lag direkt an den Wald angeschlossen und ich kann mir nicht vorstellen, dass es für Kinder einen schöneren Ort geben könnte. Das einzige was fehlte, wäre eine Bade Möglichkeit gewesen.
 

Nachdem in fortgezogen bin, habe ich sie einige Jahre später besucht und feststellen müssen, dass sie einem Neubaugebiet weichen musste. Ein Verbrechen, das mich sehr traurig machte, anders kann man es nicht sagen. Es hätte in der Stadt, noch mehr als genug Alternativen gegeben, aber die Profitgier macht leider auch vor keinem Paradies halt.
 

Ich danke euch ganz herzlich, für eure schönen, und auch zahlreichen Kommentare!
Ich war mir relativ sicher, dass der ein oder andere Leser ähnliches erlebt, und deshalb seine eigenen Erlebnisse beim Lesen mit einbindet.
 

Dankeschön!
@Josina@anais@gummibaum@Sternwanderer@Carlos@Sonnenuntergang@avalo@Gina@Zarathustra@Skalde@Ponorist

 

 

grüßend ins Wochenende Freiform

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