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Verheißungsvoller Beginn des Karenzjahres


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     Pater Gabriel vom Kloster in Luggau nimmt mich manchmal in ein nahegelegenes Wirtshaus mit, wo er täglich seine zwei Viertel Rotwein trinkt. Anfangs  frage ich mich als frischg’fangter Kleriker ob sich das gehört. Dann überlege ich jedoch, dass es mir nicht zusteht, einem nahezu Achtzigjährigen etwas vorzuwerfen. Weiß ich, worauf ich in diesem Alter zurückblicken darf oder muss und was ich tun werde? Der Großteil meines Lebens liegt noch vor mir. Pater  Gabriel genießt auch das Privileg, einen Bart tragen zu dürfen. Der läßt ihn in seiner Länge recht majestätisch aussehen.

     Ich darf mir nach einer neuen Ordensregel keinen Bart wachsen lassen, worauf ich auch locker verzichten kann. Ich kenne nur einen Mitbruder in meinem Alter, der einen Bart zugestanden bekam, weil sein Gesicht durch eine Verletzung in der Kindheit verunstaltet war.
     Unternehmungslustig wie ich bin, freue ich mich sehr darüber, dass mir der Pater Prior, auch Seelsorger des  Ortes, die Aufgabe überträgt, die hiesige Jugendgruppe zu betreuen. Bald kommt einer der Burschen aus der Pfarrjugend auf die glorreiche Idee, ein Theaterstück, ein ländliches Liebesdrama, aufzuführen. Alle sind Feuer und Flamme und ersuchen mich dringlich, die Proben zu leiten. Ich bin einverstanden und vermittle sehr wortreich meine  Vorstellungen zu den einzelnen Szenen. Ich übernehme die Rolle des Regisseurs, zu dem ich freilich erst heranwachsen muss. Gschamig (verschämt) wie die Landjugend eben ist, können die einzelnen Darsteller meinen detaillierten Ausführungen, wie ich mir eine Kussszene vorstelle, nicht folgen und sie schon gar nicht umsetzen.
     Als mir alle Argumente ausgehen, nehme ich – in meinem Ordenshabit – den Platz des Liebhabers ein und zeige in natura, wie man so etwas macht, natürlich ohne den Kuss tatsächlich auszuführen. Das bringt mir Applaus und dem jungen männlichen Darsteller die Erkenntnis, wie er dieses Unterfangen angehen kann.
     Man schätzt mich immer mehr und bittet mich, auch zu den beiden Aufführungen in Lienz als moralische Stütze mitzufahren. Ich revanchiere mich damit, dass ich das Publikum im Laufe der Theaterpausen mit Witzen unterhalte und zwar im Festtagshabit  so  etwas  gibt  es  als Alternative zur Alltagskutte und zur Anreicherung des Reisegepäcks. Natürlich dürfen diese Witze nicht frivol sein, aber solche fallen mir ohnehin nicht ein.
     Einen Schreckensmoment gibt es noch: Nach der Aufführung gehe ich im Kreis der Darstellerinnen und Darsteller über den Platz zum Bus. Da ich kein passendes Schuhwerk, nämlich nur Halbschuhe, trage, rutsche ich auf dem spiegelblanken Glatteis aus und taumle in die Arme meiner Begleiter rechts und links von mir. Die sind stark und standfest genug, mich vor einem Sturz zu bewahren.
     Für alle Umstehenden ist es ein Bild nicht nur zum Schmunzeln, sondern zum Hellauflachen. Nicht alle Tage sieht man einen Ordensmann in frisch gebügelter Montur, der mit seiner schlenkernden Kutte, dem langen raumgreifend in der Luft wehenden Skapulier und der aus der zentralen Position verrutschenden Kapuze herumtorkeln. Also alles in allem ein verheißungsvoller Beginn dieses Karenzjahrs.

 

Gesprochen von Ina Biechl

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Good morning lieber Egon, 

was ist eigentlich ein Karenzjahr? Bei Wikipedia finde ich nur: "Jahr des Wartens".

Ich finde es bewundernswert, wie du dich an so viele Einzelheiten erinnern kannst.

Das Leben vieler Menschen besteht nur aus mehr oder weniger zufällig zusammengefügten Teilchen, bei dir hat alles eine erstaunliche Kontinuität.

 

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Liebe @Corazon De Piedra, lieber @Kurt Knecht, ich freu mich riesig über Eure Zustimmung.

Liebe Grüße Egon

 

Lieber Carlos,

 

"was ist eigentlich ein Karenzjahr? Bei Wikipedia finde ich nur: "Jahr des Wartens".

Ich finde es bewundernswert, wie du dich an so viele Einzelheiten erinnern kannst."

 

Danke für Deine Anerkennung. Sie freut mich sehr.

Mit 'Karenzjahr' meine ich das Jahr, das ich mir wegen meiner Kopfschmerzen wieder einmal ohne Strudium freinehmen musste.

Betreffend die Einzelheiten kann ich Dir recht geben. Meine Frau hat mich immer bewundert, weil ich auch ihre Angelegenheiten wusste.

Jetzt allerdings kann ich mich an nur wenige Ereignisse der letzten 20 Jahre (gut) erinnern, weil ich (siehe Kopfschmerzen) an Epilepsie erkrankt bin.

LG Egon

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